2023-24

mirdancecompany

dancing

Musikausschnitt aus Odysseus

Choreografie

Musikalische Leitung

Es tanzen

Großes Haus

Bühne und Kostüm

Licht

Komposition

Dramaturgie

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Odysseus

2022-23

Programmheft zu "Odysseus"

Griechischer Held als abstraktes Konstrukt

<div>Während die letzten Tanzabende der MiR Dance Company von Ballettdirektor Giuseppe Spota gemeinsam mit einer weiteren Gastchoreographin jeweils zwei unterschiedliche Kreationen zu einem Oberthema präsentiert haben, wählt Spota für den ersten Tanzabend dieser Spielzeit im Großen Haus einen etwas anderen Ansatz. Zwar lädt er mit Felix Landerer erneut einen Gastchoreographen ein, konzipiert dieses Mal jedoch mit ihm zusammen eine gemeinsame Choreographie, für die Christof Littmann eigens die Musik komponiert hat, die von Musiker*innen der Neuen Philharmonie Westfalen unter der Leitung von Askan Geisler aus dem Orchestergraben live begleitet wird. Wer aber jetzt unter dem viel versprechenden Titel Odysseus ein großes Handlungsballett über den griechischen Helden und seine Irrfahrten, von denen der antike Dichter Homer in 24 Gesängen in der Odyssee berichtet, erwartet, wird enttäuscht. Darum geht es Spota und Landerer in ihrer Choreographie nämlich nicht. Vielmehr untersuchen sie die grundlegenden Ideen, die hinter dem Mythos stehen: Wie verändert eine Reise ins Ungewisse mit dem Durchleben zahlreicher Gefahren den Menschen? So kann man, wenn man die antike Geschichte gut kennt, zwar in einzelnen Bildern Szenen aus der Odyssee wiedererkennen, für das Geschehen auf der Bühne aber auch eigene und andere Interpretationsansätze finden.Spota hat dazu einen abstrakten Bühnenraum entworfen, der durch Einsatz der Drehbühne und besondere Lichteffekte (Mario Turco) immer wieder neue Räume und neue Situationen entstehen lässt. Das Bühnenbild besteht aus mehreren aneinandergesetzten Rampen, die unterschiedlich hoch sind und von der anderen Seite über eine Leiter erklommen werden können. Einige dieser Rampen ermöglichen es den Tänzerinnen und Tänzern, nach oben emporzusteigen, andere wiederum dienen nur dazu, auf ihnen wie auf einer Rutsche hinabzugleiten. Sicheren Halt bieten sie nicht und unterstreichen die ungewissen Wege, die die Tänzerinnen und Tänzer, oder eben Odysseus und seine Gefährten, auf den Irrfahrten einschlagen. Die rückseitigen Leitern sind durch Gerüste verstärkt, in denen mehrere Neonröhren untergebracht sind, die mal in gleißendem Weiß, dann in blutigem Rot erstrahlen, mal flackern und damit eine enorme Unruhe verbreiten. Diese stets neuen Bilder führen bei den Tänzerinnen und Tänzern zu bestimmten Verhaltensweisen, die sich teilweise im Mythos verorten lassen. Die Kostüme, für die ebenfalls Spota verantwortlich zeichnet, sind in Weiß gehalten und erinnern ein wenig an klassische griechische Bühnengewänder. Außerdem bilden sie einen Kontrast zur dunkel gehaltenen Bühne.Für die Musik haben Spota und Landerer im Vorfeld Stichworte gesammelt, die Littmann als Motive in seine Komposition hat einfließen lassen. Dabei sind insgesamt acht Sätze entstanden, die teilweise nahtlos ineinander übergehen und mal recht melodisch klingen, sich in einem anderen Moment aber nur aus Soundeffekten zusammensetzen, die vom Band eingespielt werden. Diese elektronischen Sounds werden mit dem Spiel der Orchestermusiker*innen aus dem Graben gemischt und bilden eine Einheit, die von den Tänzerinnen und Tänzern in unterschiedlichen Szenen umgesetzt wird. Dabei findet die Company zu einer modernen Ausdrucks- und Bewegungssprache, die zwischen absolut synchronen Bewegungen und individueller Körpersprache changiert und damit unterstreicht, dass die Menschen mal ihre Ziele gemeinsam verfolgen und dann wieder ganz eigene Wege gehen. Die eigenen Wege führen meistens dazu, dass das Ensemble zerfällt, so wie Odysseus&#39; Gefährten nach der langen Odyssee ebenfalls alle auf der Strecke geblieben sind.Zu Beginn sieht man eine einsame Tänzerin (Holly Brennan), die mit gesenktem Kopf auf der Bühne kniet, während man beim Orchester noch das Gefühl hat, dass es sich einspielt. Plötzlich verstummt die Musik. Inwoong Ryu tritt als eine Art Beobachter auf, fordert das Orchester auf zu spielen und versucht, Brennan aus ihrer Lethargie zu lösen. Soll Brennan Penelope darstellen, die insgesamt 20 Jahre auf die Rückkehr ihres Gatten Odysseus gewartet hat und während dieser Zeit häufig die Hoffnung auf seine Rückkehr aufgegeben hat? Wenn die Musik einsetzt, erhebt sich Brennan langsam und schreitet auf eine Rampe im Hintergrund zu. Hinter der Rampe sieht man die übrigen Tänzerinnen und Tänzer, die die Leitern emporklettern, um in Brennans &#34;Reich&#34; einzudringen. Handelt es sich um die Freier, die Penelope bedrängen und um ihre Hand bzw. das Königreich von Ithaka werben? Oder sind es Odysseus&#39; Gefährten, die die Stadtmauern Trojas erklimmen, um die Stadt mit Hilfe des Trojanischen Pferdes zu erobern? Die Choreographie lässt diese Frage offen, zeigt lediglich Menschen, die Schwierigkeiten haben, die Rampen, die in dieser Position auf die Bühne führen, hinabzugleiten und die in dieser neuen Welt nicht glücklich werden. Im Anschluss bewegen sie aich auf allen Vieren, wie die Schweine, in die die Zauberin Kirke Odysseus&#39; Gefährten verwandelt hat, nachdem diese ihr zu nahe gekommen sind.Später erheben sie sich und bilden mit synchronen Bewegungen eine Gemeinschaft. Dabei rufen sie zunächst die einzelnen Buchstaben und dann den Namen ihres Anführers Odysseus. Wieso sie die Buchstaben jedoch Englisch aussprechen und dann trotzdem die deutsche Form Odysseus wählen, ist fraglich. Hier wäre es stimmiger gewesen, bei der englischen Version &#34;Ulysses&#34; zu bleiben. Ob Odysseus als Person an diesem Abend auftritt, ist Ansichtssache. Im Programmheft wird keiner der Tänzer als Odysseus ausgewiesen, dennoch hat man bei einigen Szenen den Eindruck, dass einzelne Tänzer den griechischen Helden verkörpern. So sieht man in einer Szene Inwoong Ryu als Beobachter Simone Frederick Scacchetti das Gerüst emporziehen, als ob er den Helden aus einer brenzligen Lage befreit. In einer anderen Szene steht ein Tänzer zitternd im Gerüst zwischen den Neonlampen, während die Musik an den verführerischen Gesang der Sirenen erinnert. Hier meint man, den an einen Mast gefesselten Helden zu erkennen, der versucht, den Sirenen zu widerstehen. Ein Pas de deux ist Alessio Monforte und Chiara Rontini gewidmet. Ob es sich hierbei um Calypso handelt, bei der Odysseus für einige Zeit gestrandet ist und mit der ihn eine leidenschaftliche Liebe verband, ist Interpretationssache. Penelope ist es wahrscheinlich nicht. Sie tritt nämlich am Ende wieder auf und ist immer noch allein. Der Anfang wiederholt sich, während der Orchestergraben hochgefahren wird und der Vorhang sich langsam senkt. Das Premierenpublikum bedankt sich für diese abstrakte Darbietung mit großem Jubel.Mit viel Fantasie erkennt man Szenen aus dem Mythos, die den Titel des Ballettabends rechtfertigen. Anhänger*innen des modernen Ausdruckstanzes können sich aber auch ihre eigenen Vorstellungen zu den Szenen machen und dabei auf ihre Kosten kommen.</div>

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Und immer wieder aufstehn

<div>Mit seinen beiden jeweils 24 Gesänge umfassenden Epen rund um den Trojanischen Krieg, „Ilias“ und „Odyssee“, begründete Homer im 7. Jahrhundert vor Christi Geburt nichts weniger als unsere abendländische Kultur – und erschuf mit Odysseus „die“ Heldenfigur der griechischen Mythologie. Der Tanzabend „Odysseus“ im Großen Haus des Gelsenkirchener Musiktheaters im Revier kommt beinahe ganz ohne die Titelfigur aus.Geht es den beiden Choreographen Felix Landerer und Giuseppe Spota im Experiment ihrer ersten gemeinsamen Arbeit doch mehr um das PrinzipOdysseus, um Menschen, die versuchen, selbst einem Heldenbild zu genügen oder übermenschliche Größe auf einen der ihren zu projizieren. Noch vor Ausbruch des russischen Überfalls auf die Ukraine projektiert stellt der nachhaltig beeindruckende, manche sicherlich bisweilen auch verstörende, nach gut siebzig Minuten aber einhellig in Ovationsstärke gefeierte Abend nun auch die Frage, was mit Menschen geschieht, die durch Extremsituationen wie einen Krieg dazu gezwungen werden, ihre Menschlichkeit über Bord zu werfen.Giuseppe Spota, Direktor der MiR Dance Company, und sein Gast, der international renommierte Felix Landerer mit eigener Company in Hannover, zeichnen auch für die phantastische Ausstattung auf der stets rotierenden Drehbühne verantwortlich: in dem labyrinthischen Environment aus Leitern und Brettern, das sowohl Wellenkamm wie Bergmassiv, Höhle wie Gefängniszelle assoziiert, können sich die Tänzer in ihren klassischen griechischen Gewändern nachempfundenen Tuniken leicht verirren. Diese stellen wie die von Inwoong Ryu verkörperte Erzählerfigur die Verbindung zwischen dem antiken Mythos und unserer Gegenwart her.Die komplette Spota-Compagnie, ergänzt um zwei Eleven der Stockholmer Royal Swedish Ballet School, füllt die Bühne des Großen Hauses, sitzt zunächst auf dem Boden mit Blick ins Parkett, dreht sich dann um und nähert sich vorsichtig und mit erhobenen Armen dem Brettergerüst. Das später, die durchgängige Schwarz-Weiß-Optik der Ausstattung durchbrechend, spektakulär illuminiert wird. Und dann an monumentale technische Konstruktionen wie die heute museale Abraumförderbrücke F60 im Lausitzer Braunkohletagebau erinnert – oder an durch Bomben zerborstene Stahlträger.Es gehört Geschick und zugleich Mut dazu, in schwindelerregender Höhe auf dem Gerüst zu klettern oder wie auf einer gigantischen Rutsche in Rückenlage wieder auf den Boden zurückzukehren. Spielerisch-leichte Momente wechseln sich mit geradezu archaischen Bildern ab, auf dynamische Gruppenchoreographien mit stampfenden Bewegungen und martialischen Aufmärschen folgen ruhige, harmonische Sequenzen bis hin zum kontemplativen Stillstand. Das 17-köpfige Ensemble bildet in rascher Geschwindigkeit Ketten, die über die Bühne mäandern. Aggressive Selbstdarstellung steht neben defensiven Gesten des sich selbst Zurücknehmens, Muskelspiele wechseln sich mit gegenseitigem Aufhelfen ab.Inwoong Ryu umkreist die Truppe, gestikuliert an der Rampe, haucht mehrfach gestürzten Figuren neues Leben ein, animiert Einzelne und Paare, das Gerüst zu erklimmen. Am Ende ein Pas de deux bis zur Erschöpfung: „Und immer wieder aufstehn“ könnte, frei nach Rainer Koslowskis Krautrock-Gruppe „Herne 3“ aus den frühen 1980er Jahren, das Finale dieses elektrisierenden Abends überschrieben werden, der befeuert wird durch suggestive, an Filmmusik erinnernde elektronisch verstärkte Kompositionen des Soundtrack-Spezialisten Christof Littmann, live gespielt von Mitgliedern der Neuen Philharmonie Westfalen unter der musikalischen Leitung von Askan Geisler.</div>

halloherne.de

Szenenkarussell am Abgrund

<div>Nicht immer eindeutig erzählt, aber ein packender Tanzabend. Die Uraufführung von „Odysseus“ (Giuseppe Spota und Felix Landerer) wurde gefeiert! Dieser schrille Ton nervt wie ein Tinnitus. Er bleibt am Ende eines atemlos getanzten Kriegsgetümmels wie ein unauslöschliches Trauma in den Köpfen. Der Tanzabend „Odysseus“ in der Choreografie von Giuseppe Spota und Felix Landerer verhandelt in eindringlichen Bildern Krieg, Frieden, Leid, Trauer, Hoffnung.Die bildgewaltige Uraufführung im Großen Haus des Musiktheaters im Revier wurde einhellig gefeiert. Dunkler, tiefer Streicherklang, live gespielt von einem Kammerorchester der Neuen Philharmonie Westfalen, ertönt trauernd aus dem Graben: Eine weiß gekleidete Frau hockt auf dem Bühnenboden, mit gesenktem Haupt. Ist es Penelope, die auf den Kriegshelden Odysseus wartet? Oder eine heutige, von Unmenschlichkeit in die Knie gezwungene Figur? Ein Tänzer, eine Art Reiseführer durch den Abend, richtet sie auf. Es beginnt eine eineinviertelstündige Tour durch den Motiv-Kosmos von Homers „Odyssee“. Nicht als Nacherzählung von Mythen, sondern als zeitgenössisches Szenenkarussell aus Stationen menschlichen Daseins. Compagniechef Spota (auch Bühne/Kostüme), und Landerer wählen eine abstrakte Tanzsprache, die mal mehr, mal weniger gut funktioniert, aber auch Momente mit eindeutigen Gesten enthält. Da wird sich selbstbewusst auf die Heldenbrust geklopft oder stramm marschiert. Von großer Magie der Moment, wenn die aufgereihte Compagnie wie ein griechischer Chor beschwörend den Namen des Odysseus buchstabiert. Überhaupt überzeugen vor allem die Gruppenszenen, die leisen wie die ungeheuer kraftvollen. Wer allerdings den einen Tänzer sucht, der die Figur des Titelhelden verkörpert, sucht vergebens. Fast jeder des 17-köpfigen Ensembles schlüpft mal in diese Rolle.Ein Hingucker: das spektakuläre Bühnenbild. Mit einer nahezu skulpturalen Anhäufung von Brettern und Leitern verlangt es von den Tänzerinnen und Tänzern athletischen Einsatz. In hohem Tempo oder wie in Zeitlupe klettern und rutschen sie über ein in wechselndes, atmosphärisch dichtes Licht getauchtes Gebilde: zerschelltes Schiff, Bergmassiv oder Gefängnis.Christof Littmanns Musik aus klassischem Live-Klang (am Pult Askan Geisler) und dazugemischtem Elektrosound treibt das Geschehen wie eine Filmmusik dramatisch voran. Sie klingt mal zart und poetisch, mal rhythmisch hart und schneidend wie Kriegsgeschrei, ahmt Sirenenalarm und Kanonendonner nach. Eine aus den Fugen geratene Welt dreht sich im Kreis, bis am Ende das Orchester aus dem Graben in die Höhe fährt. Vielleicht ein Hoffnungszeichen!</div>

Westdeutsche Allgemeine Zeitung (Kultur)

Odysseus - Trailer

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