2024-25

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Ein Drama wie unter einem Brennglas

<div><p>Wie bringt man eines der großen Themen unserer Zeit, die Debatte ums Diverse, das von der gesellschaftlichen Norm abweicht, auf die Ballettbühne? Und zwar so schlüssig, dass daraus großes Tanztheater entsteht. Der Italiener Giuseppe Spota, seit zwei Jahren Ballettchef am Musiktheater im Revier, versteht sich darauf.</p><p>Für „Notre-Dame de Paris“, sein zweites Handlungsballett nach „Momo“, hat er unter dem französischen Titel auf einen populären Roman des französischen Romantikers Victor Hugo zurückgegriffen. In der deutschen Übersetzung kennt man ihn als „Glöckner von Notre-Dame“. Der verkrüppelte Quasimodo ist bei Spota nicht die Hauptfigur. Er ist einer von drei Projektionspunkten in den Verstrickungen, die sich immer enger schnüren um die Außenseiterin Esmeralda, die unter Roma aufgewachsene, nach einem selbstbestimmten Leben in Freiheit dürstende Tänzerin der Straße.</p><p>Das Ergebnis ist ein faszinierender, großer Wurf. Das gilt auch für Spotas raffinierte Ausstattung und seine engagierten Tänzer, die sich hineinstürzen in ihre anspruchsvollen, kraftvoll und ausdrucksstark getanzten Rollen. Mit einem ausgedehnten Solo tritt der athletische Belgier Brecht Bovijn als Dompropst Frollo mit schraubenden Windungen in der Horizontalen ins religiös-ekstatisch verzückte Spiel tabuisierten Verlangens. Der Mörderhand des Kirchenmannes entgeht der in gezackter Manier eines Maschinenmenschen domestizierte Soldat Febo (Alessio Monforte) in größter Not, als er sich auf einer Lichtschneise an der Rampe Esmeralda in körperlichem Begehren nähert. Wie unter einem Brennglas rücken bei Giuseppe Spota die Gestalten aus der Bühnen-Düsternis ins Licht.</p><p>Wie Genevieve O’Keefee, mal Luder, mal Madonnengestalt, die selbstbestimmte Esmeralda gestaltet, die sich jede Freiheit nimmt und die Männer um sie herum damit umso mehr reizt – das ist ein Ereignis an fließender, impulsiv auftrumpfender, erotisch angehauchter, ungezwungener Eleganz. Verschlungen geschützt vor allen Anfeindungen – so sieht man sie in den silbrig glänzenden, elastischen Gliedmaßen Quasimodos. Simone Donati verkörpert mit diesem Industrieprodukt behänd den Verunstalteten, der allen Anfechtungen trotzt. Das ist ein ebenso schlüssiger Ausstattungseinfall Giuseppe Spotas wie die anthrazitfarbenen Schaumstoff-Quader. Sie fassen das Monumentale und das Geheimnis der Kathedrale in ein schlüssiges Bild. Sie dienen als Bürde und als Abfederung bei Abstürzen. Mit seinem Bruder Giulio hat Simone Donati die sogkräftige elektronische Klangkulisse mit Glockenklängen, Party-Taumel und Glasorgel-Klängen komponiert. „You like it?“ fragen die kaum verständlich als Erzählerinnen und auch mal als Glocken-Klöppel eingesetzten vier Speech Girls in schwarzem Latex (Marie-Luise Hertog, Konstantina Chatzistavrou, Chiara Rontini und Emily Anne Nicolas). Das Publikum zeigte sich durchweg begeistert.</p></div>

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