2024-25

opera

singing

2.Akt - Szene des Hermann(Kor-Jan Dusselje)

3. Akt - Szene des Hermann (Kor-Jan Dusselje)

Tomskis Lied (Piotr Prochera + Herrenchor)

1.Akt - Szene der Lisa (Petra Schmidt)

Gräfin

Inszenierung

Dramaturgie

Bühne

Tschekalinskij

Graf Tomskij

Lisa

Fürst Jeletzkij

Kostüme

Ssurin

Pauline

Gouvernante

Hermann

Musikalische Leitung

Chor

Narumow

Tschaplitzkij

Pique Dame

Großes Haus

2013-14

Mit Grußelfaktor

Dietrich Hilsdorf ist konsequent. Auf zwei Nächte und einen Tag reduziert er die Handlung von Pique Dame. Das tut Tschaikowskys Oper gut. Sie ist ein Werk, das auf tiefe Charakterauslotung verzichtet und einfach eine Geschichte erzählt von Liebe, die scheitern muss, von Spielsucht und gesellschaftlichen Zwängen - versehen mit einem kleinen Gruselfaktor, den Hilsdorf aber weitestgehend außer Acht lässt.
Wie immer hat ihm Dieter Richter das perfekte Bühnenbild geschaffen. Nach Außen ein Spielsalon, der sich doch schnell als Bordell herausstellt. Die Alte Gräfin ist eine würdige Puffmutter, erscheint sogar zum Maskenfest als Zarin verkleidet. Renate Schmitzer hüllt die Huren in so unendlich variantenreiche Unterröcke, dass es eine Freude ist. Und natürlich tauchen auch wieder typische Hilsdorf-Gestalten auf wie die Drag-Queen im Nonnenkostüm, sogar mit Bart. Da lässt Conchita Wurst grüßen.
Die Tragik bleibt außen vor an diesem Abend. Und das ist vielleicht auch gar nicht schlecht. Denn Hermann und Lisa sind doch Kunstprodukte, deren Seelenzustände sich vor allem in Tschaikowskys Musik spiegeln. So entspinnt sich eine spannende Geschichte, der das Publikum ganz aufmerksam folgt. Am Ende dann ein Clou: Lisa erschießt Hermann und bleibt verzweifelt zurück. Kein dramatischer Sturz in den Fluss. Hilsdorfs Lisa ist zwar am Boden zerstört, aber nicht lebensmüde. Und so können wir hoffen, dass sie den Puff von ihrer Großmutter übernehmen wird. Hilsdorf erzählt flott - und das ist auch gut so.
Motor des Abends ist die Neue Philharmonie Westfalen unter Rasmus Baumann. Wie sie die elegischen Partien mit wunderbar satten Streicherklängen unterlegt, wie sie die frisch-fröhlichen Lieder hervorzaubert, ist absolut hörenswert.
Und auch sängerisch bleibt kein Wunsch offen: Petra Schmidt ist eine stimmschöne Lisa, kein Mädchen mehr, sondern eine Frau, die weiß, was sie will. Kor-Jan Dusseljee überzeugt mit obertonreichem, manchmal etwas engem Tenor als spielsüchtiger Hermann.Gudrun Pelker ist eine imposante Gräfin. Die „Hinhörer“ jedoch sind Piotr Prochera als Graf Tomski und Michael Dahmen in der Rolle des Fürsten Jeletzki!
So entsteht ein Opernabend, dem man begeistert folgt, dessen imposante Bilder genießt und die Musik goutiert. Ein Abend mit Unterhaltungswert, der aber in der Erinnerung bald verblasst. Auch das ist Oper, die sich lohnt.

theater pur

Alles auf eine Karte gesetzt


Diesmal bezog des Premierenpublikum am Musiktheater im Revier (MiR) in seinen kaum endenden enthusiastischen Beifall auch Regisseur Dietrich Hilsdorf ein. Das war nicht immer so.

Nach seinem Gelsenkirchener Operndebüt 1981 mit Tschaikowskys „Eugen Onegin“ verfolgte ihn viele Jahre lang der Ruf des Regie-Berserkers. Dabei garantierte sein Name schon damals stets aufregendes, oft packendes Theater. Heute erschafft Hilsdorf kostbare szenische Preziosen. Zuletzt mit „Eugen Onegin“ am Kölner Opernhaus.

Dessen atmosphärische Dichte und schlüssige psychologische Stringenz erreicht er nach seiner Rückkehr ans MiR mit Tschaikowskys „Pique Dame“, dem schwierigeren, doppelbödigen Gegenstück, nicht so vollendet. Das liegt nicht nur daran, dass er der gespenstischen Dämonie nach Art E.T.A. Hoffmanns misstraut. Hilsdorf setzt wie sein gefallener Held, der deutschstämmige Offizier Hermann, alles auf eine Karte. Er konfrontiert den mittellosen Außenseiter nicht mit der schneidenden Kälte des abgefeimten russischen Adels. Auch naheliegende Bezüge zu Putins verludertem Russland sind strikt gemieden.

Stattdessen versetzt er eine überdrüssige Offiziersclique, die trügerischen Illusionen im Spiel und in der käuflichen Erotik nachhängt, in eine verklärte Puff-Folklore der niedlichen Kokotten (Bühne: Dieter Richter, Kostüme: Renate Schmitzer). Das entschärft die gesellschaftliche Brisanz des Außenseiter-Dramas. Auch das historisch Doppelbödige bleibt ausgespart. Das tückische Spiel mit hohem Einsatz ereignet sich in St. Petersburg nicht Ende des 18. Jahrhunderts sondern 1899, am Vorabend des zwanzigsten Jahrhunderts. Das ist freilich ein kluger Verweis auf die erregende Modernität der Musik, die Rasmus Baumann mit der überragenden Neuen Philharmonie Westfalen mit der Dichte eines Psychogramms herausstreicht. Im hohen Erregungsgrad der Musik scheut Baumann nicht die dramatische Wucht und die explosive Entladung. Er findet den treffenden Tonfall für lyrische Verästelungen, trudelnde Turbulenzen und schwerblütige Melancholie, ohne auch nur einen Hauch an Sentimentalität zu streifen.
Das Intermezzo des Schäferspiels ist ebenso gestrichen wie alle dem Zeitgeschmack zur Uraufführung 1890 geschuldeten Genreszenen. Übrig bleibt die konzise Studie einer verhängnisvollen Leidenschaft zwischen dichtem Kammerspiel und üppigen großen Gesellschaftstableaus mit einem hervorragenden Chor.

Als haltloser Schwärmer Hermann fügt sich der wenige Tage vor der Premiere eingesprungene Gast Kor-Jan Dusseljee mit der züngelnden Leidenschaft seines kernigen Tenors hervorragend ein. Der Niederländer zählte Ende der Achtziger vier Jahre lang zum Gelsenkirchener Ensemble. Hilsdorf lässt offen, ob er Lisa nur begehrt, um über sie ihrer Großmutter, der Gräfin, das Geheimnis dreier Reichtum versprechender Karten zu entlocken. Petra Schmidt singt die Lisa herrlich verinnerlicht, Gudrun Pelker die Gräfin als Puffmutter mit dosierter Dämonie. Michael Dahmen beeindruckt als Lisa Verlobter Fürst Jeletzki, Piotr Prochera als Graf Tomski und Almuth Herbst als Polina. Typisch für Hilsdorfs grelle Zuspitzung: Bernhard Stengel am Bühnenklavier des Puffs tritt als Nonne und Matthias Koziorowski in der Partie der Gouvernante als Transvestit auf, der sich mit Hingabe der Fuß-Erotik für die betagte „russische Venus“ widmet. Eigenwillig der Schluss: Hermann bringt sich nicht selbst um, Lisa erschießt ihn. Eine klassische Beziehungstat.


Recklinghäuser Zeitung

Das Leben, ein Kartenhaus

Riesenerfolg für „Pique Dame“: Im Land Tschaikowskis zählt seine „Pique Dame“ zu den unverzichtbaren Heldinnen des Opernspielplans. Ein deutsches Stadttheater wie das Musiktheater im Revier muss schon Mut und Kraft aktivieren, die szenische und musikalische Herausforderung auf den Spielplan zu hieven. Es gelang. Die Premiere am Sonntag wurde vom Publikum lautstark gefeiert.

Für echte Russen ist Tschaikowskis „Pique Dame“ ein Royal Flush. Auf deutschen Spielplänen gilt die schwerblütige Schicksalsoper kaum als As im Repertoire-Ärmel. Und doch: Sonntag Abend jubelte das Premierenpublikum des Musiktheater in fußballverdächtiger Phonstärke. Mit einer Rarität so einzuschlagen, ist ein Coup zum Spielzeitende.
Der Erfolg hat viele Väter: Einer arbeitet seit über drei Jahrzehnten fürs Haus am Kennedyplatz. Heute steht Dietrich Hilsdorf im Sog der Bravo-Rufe und strahlt. Hätten wir vor 25 Jahren geglaubt, dass ihn das Bürgertum mal so einhellig feiern würde? Hätte er es gewollt?

Sei’s drum. Auch Hilsdorfs Altersstil ist unverwechselbar. Das vermeintlich Eindeutige des Dramas unterläuft er mit feiner Diskretion. Da ist die Provokation einer zungenfertigen Nonne im Unterrock der alten Gräfin die Ausnahme. Besagte Gräfin hat einen unheilvollen Beinamen. Sie ist die „Pique Dame“ und birgt das finstere Geheimnis, im Spiel die Karten voraussehen zu können. Wäre ein labiler Filou wie Hermann nicht ihr idealer Nachfahre ? Aber die Oper stellt nach einer Novelle Puschkins zum russischen Lieblingsmotiv des alles vernichtenden Glücksspiels den anderen Weg, im großen Stil zu verlieren: die unglückliche Liebe. Es trifft Lisa, der Gräfin Mündel...

Die Fassung, die Hilsdorf und Generalmusikdirektor Rasmus Baumann spielen, zeigt massive Striche: Petersburger Sommerfrische, muntere Kinderchöre, Spazieren im Sonnenschein – alles weg. Wir hören und sehen ein Konzentrat der schlackenfreien Botschaft: die Welt, ein Kartenhaus. Dass es die Hölle ist, verrät die Tür, die in jenes verqualmte Casino „L’enfer“ führt. Wie so oft (Traviata, Köln!) hat Dieter Richter Hilsdorf einen leicht abgehalfterten Einheitsraum gebaut, in dem die Dekadenz zu Hause ist. Hilsdorf gelingt nach leicht zähem Einstieg das inszenatorische Kunst-Stück, Realismus und Geistergeschichte zum Thriller vor Tapetentüren zu machen. Eine Gespenstersonate des europäischen Ancien Régime, fein komponiert, auf edle Weise schauersatt, morbide Attraktion und Schauerballade im Offizierszwirn.

Aber dieser Abend, den niemand sich entgehen lassen sollte, für den große Oper bei „Carmen“ nicht endet, trägt noch eine Säule: Was für ein Ensemble! Bis auf den Einspringer (Kor-Jan Dusseljees Hermann mit enormen Tenor-Reserven, mitunter nah am Wälse-Ruf) sind sie alle fest in Gelsenkirchen engagiert: Michael Dahmens feinnerviger Jeletzki, Piotr Procheras kerniger Tomski und Gudrun Pelkers Gräfin, die ihr berühmtes Lied suggestiv als abgeklärte Prophetie einer antiken Seherin singt. Petra Schmidt (Lisa) leistet ein großartiges Rollenporträt: Noch im Hochdramatischen mobilisiert sie Nuancen des Verletzlichen. Bravo!

Aus Tschaikowskis aparter Romantik-Bonbonniere bedient sich die Neue Philharmonie Westfalen ziemlich geschickt. Kalorienreiches dieser Art bekommt man so schnell nicht satt.

Westdeutsche Allgemeine Zeitung (Kultur)

Erstklassig besetzt

Mit Tschaikowskis „Eugen Onegin“ begann 1981 am Musiktheater im Revier die beispiellose Karriere Dietrich Hilsdorfs als Opernregisseur – mit Tschaikowskis „Pique Dame“ kehrt er nun ins Gelsenkirchener Haus zurück, und da schließt sich auf meisterliche Weise ein Bogen. Wie Hilsdorf das große Ensemble zu führen versteht, wie er mit ihm, per Drehbühne, das einzige Bühnenbild Dieter Richters souverän in Szene setzt, das ist ebenso logisch wie emotional erspielt und erfunden, ja es deutet die Oper, ja auch die Erzählung Puschkins neu und führt zu überraschenden Schlüssen, die nicht verraten werden. Natürlich gibt es verrückte Einfälle, fast wie bei Hitchcock, aber sie sind nie vordergründig, sondern bleiben geheimnisvoll komisch oder poetisch, wie auch die autobiografischen Bezüge zu Tschaikowskis Lebensumständen, die Hilsdorf aus der Musik zu deuten versteht.
Es geht in der Oper ums Geheimnis eines Kartenspiels, das mit Fluch beladen,
die Liebenden zu Unglück und Mord führt – um ein leidenschaftliches, ja kriminelles Thema also, und die Musik Tschaikowskis ist davon besessen. Gut ist, dass folkloristische Teile, die davon ablenken, aus der Partitur gestrichen sind; so wirkt das Stück nun aus einem Guss, und das stimmlich erstklassig besetzte Ensemble, darunter der holländische Tenor Kor-Jan Dusseljee, dazu Christian Jeubs groß besetzter Chor: es singt, agiert und spielt, hochmotiviert vom Regisseur und von dieser gefühlsstarken Musik, dass es eine Freude ist, diese „Pique Dame“ zu hören, zu sehen, zu erleben. Wer die Handlung aus Opernführern zu kennen meint, wird von Hilsdorfs neuem, überzeugend inszeniertem Schluss, überrascht sein.
Die Neue Philharmonie Westfalen, geleitet vom nunmehr neu gewählten GMD Rasmus Baumann, versteht die Musik Tschaikowskis ganz und gar; es gelingt ihr, mit diesem Dirigenten, die Schönheit, die Stille, die schmerzlich bewegenden Höhen und Tiefen, die dramatischen Kulminationspunkte so sinnlich, so bewegend, ja berauschend zu erfassen, dass Ensemble wie Publikum gemeinsam von dieser Musik ergriffen werden: besser lässt sich des Komponisten Gefühls und Gedankenwelt wohl kaum vermitteln.

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