2023-24

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concert

Komposition

Spieler

Zwei-Mann-Orchester

Foyer Großes Haus

2014-15

… staunende Kinderaugen und amüsierte Blicke einer jüngeren Generation von Besuchern folgten den Aktionen der Musikmaschinisten Bruck und Würsch gebannt. Zwei volle Tage lang hatten sie den Orchesterapparat aufgebaut – der Prozess des Spielens, eigentlich ein Auslösen unumkehrbarer, wunderbar-skurriler Klangprozesse, stellte jedenfalls ein nachhaltiges Vergnügen dar.

Neue Musik Zeitung

Es ist ein großartiges und sehr seltenes Vergnügen, diesen Meilenstein des „instrumentalen Theater“ in Aktion zu erleben. Eine gute Stunde dauert die Performance, die von Bruck und Würsch so penibel einstudiert worden ist, als sei’s eine Sonate von Beethoven. Kagels Doppelorchester ist zwar ein Witz, doch eben nicht nur. Es ist vor allem eine Einladung, elementare Prozesse bei der Entstehung von Musik überhaupt zu verstehen – die kulturelle, schöpferische Leistung, die dahinter steckt, aber auch das Natürliche, das Körperliche, das nicht wegzudenken ist. 

Kölnische Rundschau

Als sei es, um das Kind ins Leben zu holen, markiert ein hörbares Ein- und Ausatmen den Beginn. Wilhelm Bruck streicht nach dem Auftakt zart mit einem Lederhandschuh über Schmirgel, während Matthias Würsch, der ihm in einigen Instrumentenmetern Entfernung gegenübersitzt, leise mit ersten Klängen einer Glasharmonika antwortet. Noch sind die beiden kaum zu sehen. Der Gitarrist Bruck und der Schlagzeuger und Multiinstrumentalist Würsch versinken jeder für sich in einem unüberschaubaren Sammelsurium verschiedenster Musikinstrumente, um es darin mit einer Komposition Mauricio Kagels (1931-2008) aufzunehmen.


Badische Zeitung

Das Konzert als Schabernack

Ist das womöglich der heimliche Traum politischer Krämerseelen, die der Neuen Philharmonie Westfalen die überfällige Tariferhöhung vorenthalten - ein auf zwei Musiker geschrumpftes Orchester? „Extrem aktuell“ nennt Intendant Michael Schulz Mauricio Kagels „Zwei-Mann-Orchester“ am Musiktheater im Revier.

Als brisant erweist sich das Stück des 2008 verstorbenen Komponisten im Blick auf die „gefährdete Spezies“ des Orchestermusikers. Des Musikers, der angesichts der Gefährdung westlicher Kultur nicht etwa durch Islamisten sondern durch eine neoliberale Politik der Schieflage von öffentlicher Armut und privatem Reichtum um seine Arbeit bangen muss. Das Premierenpublikum im Foyer des Großen Hauses verstand den Wink des Intendanten, der diese Produktion unbedingt ins Gelsenkirchener Haus holen wollte.

Es zeigte sich freilich ebenso aufgeschlossen für den musikalischen Witz des subversiven Schabernacks. Der aus Argentinien stammende Kagel entfachte ab 1957 von seiner Wahlheimat Köln aus als Meister des Instrumentalen Theaters ein kritisches Nachdenken über Musik. Bei Kagel ist Musik stets als Aktion zu erleben. Wie sehr sich dieser Komponist am traditionellen Musikbetrieb rieb, zeigte schon sein 1978 in Ausschnitten am MiR aufgeführtes „Staatstheater“ von 1971, mit dem er erstarrte Opernkonventionen aufs Korn nahm.

Das 1973 bei den Tagen neuer Musik in Donaueschingen aus der Taufe gehobene und 2011 in Basel generalüberholte „Zwei-Mann-Orchester“ parodiert eine verstaubte Klassik-Verehrung im Orchesterbetrieb, die eher der Weihe huldigt als zu lebendigem Hören einlädt. Der Gitarrist und Lautenist Wilhelm Bruck, von Beginn an als Kagel-Interpret dabei, und der Basler Schlagzeug-Professor Matthias Würsch nehmen nacheinander über 200 gängige Instrumente aber auch so ungewöhnliche Klangkörper wie eine Nähmaschine oder eine elektrische Zahnbürste in Besitz. Und so entsteht mit dem zarten Hauch einer Glasharfe ein erstaunliches Klanguniversum. Der Hörer durchmisst es mit kindlicher Naivität in seinen schier grenzenlosen Dimensionen.

Wenn Bruck nicht auf der Violine schrammelt, sondern ihre Saiten über das Rad der Nähmaschine schleifen lässt oder Würsch über Pumpen und Schnüre eine komplette Blaskapelle in Szene setzt, erweist sich Musik auch als clowneske Aktion. Musik lässt sich mit Kagels monströser Instrumental-Skulptur wie ein Palimpsest als Überschreiben eines gewohnten Klangbildes erleben. Und als Vexierbild schwankender Wahrnehmung. Eines bietet das „Zwei-Mann-Orchester“ auch dem unvorbelasteten Hörer ganz sicher: einen irrwitzigen Klang-Zirkus.

Recklinghäuser Zeitung

„Sie sitzen auf getrennten Podesten, weit voneinander entfernt, umringt von einem dichten, jedoch durchsichtigen Aufbau von Instrumenten, Schnüren, Pedalen, Antriebsrädern, Maschinenteilen, die von beiden Musikern - welche während der gesamten Darbietung nicht aufstehen dürfen - durch Fäden, Stangen oder auch elektrisch betätigt werden“. So beschrieb Mauricio Kagel (1931-2008)
im Vorwort zur Partitur sein Stück, das 1973 in Donaueschingen uraufgeführt wurde und zu den absurdesten Stücken zählt, die jemals erfunden wurden. Wilhelm Bruck, einer der damaligen Spieler, und Matthias Würsch konstruierten das mechanische Ungetüm im Auftrag der Baseler Paul-Sacher-Stiftung 2011 neu und entwickelten dabei, im Sinne der Partitur, Spielideen für mehr als 200 Klangkörper, die sie auf abenteuerlichste Weise bedienen.

Nun steht dieses absurde Kunstwerk im Foyer des Musiktheaters im Revier, vor den großen blauen Wänden Yves Kleins, als gehörte es genau so dahin. Gerade hier setzt es Assoziationen frei an die Kunst der sechziger und siebziger Jahre: an Jean Tinguelys kinetische Plastiken in seinem Baseler Museum, ans absurde Antitheater Eugéne Jonescos und Samuel Becketts - an die Endspiele von Kunst
in der damaligen Zeit.

Zunächst mögen einem Idee und Aufführung nur skurril erscheinen - aber dann beginnt man darüber nachzudenken: warum ein so hoher Aufwand an technischem Verstand und Erfindergeist für Ereignisse, die eher ins Sinnlose zu führen scheinen - schließlich, gerade durch dieses Stück, die Entdeckung, wie rasch wir uns seitdem davon weg ins digitale Zeitalter katapultiert haben.  
 „Zwei-Mann-Orchester“ wird auch an Vormittagen, in verkürzter Form, für Kinder und Schulklassen angeboten: sie sollten darüber diskutieren; denn es dokumentiert wie kaum ein anderes Klangwerk den Aus- und Umbruch in unsere, nein in ihre Zeit. Und man sollte das Stück unbedingt, filmisch digital, festhalten; denn es ist zu befürchten, dass Kagels kaum zu wiederholender Geniestreich im Gelsenkirchener Haus seine letzten Aufführungen überhaupt erlebt.


Zwei-Mann-Orchester

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